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Sonntag, 10. Oktober 2010

Sarrazin als Mr. Bean und das Oktoberfest

Eigentlich wollte ich nicht mehr auf Sarrazin herumreiten. Allerdings muss ich diesen Artikel aus der Jungen Welt von Klaus Bittermann trotzdem noch einmal hier veröffentlichen.


Wenn alle nicken

Der deutsche Mr. Bean und die Migranten. Weitere Bemerkungen zu Thilo Sarrazin

Arbeitet unermüdlich an der Steigerung der Fertilitäts
Thilo Sarrazin ist ein lustiger Mann, er sieht lustig aus und sagt lustige Dinge. Dabei wirkt er immer ein wenig tapsig, unbeholfen und linkisch, eine Art deutscher Mr. Bean, und mit seiner Faschingsmaske, die er nie abnimmt, mit dem komischen Bürstenschnurrbart und dem komischen Brillengestell, hat er alles, was er für seine Büttenreden braucht, aber vor allem ist er ein gutes Beispiel dafür, wie weltoffen und lustig es in Deutschland immer noch zugeht, obwohl die Weltmeisterschaft in dem seit neuestem »Schland« genannten Land schon vier Jahre zurückliegt.

Er sagt so lustige Sachen wie, daß Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent erblich sei. Welche Intelligenz? Sarrazin meint die Intelligenz der Leute, die ihm zustimmen und die daran glauben, daß es sich bei Homosexualität um etwas Perverses handelt. Selbstverständlich ist alles wissenschaftlich belegt, behauptet Sarrazin. Er hat da was bei der Psychologin Elsbeth Stern gelesen, weshalb alles »unbestreitbar« ist. Die lebt in Zürich, hat also nicht mitbekommen, wie lustig Sarrazin ist, und sagt deshalb bierernst: Sarrazin zeigt mit dieser Behauptung, »daß er Grundlegendes über Erblichkeit und Intelligenz nicht verstanden hat«. Sarrazin wäre nicht so lustig, wenn er sich davon beeindrucken ließe und so antwortet er, daß er es trotzdem gelesen hätte und es deshalb »unbestreitbar« sei. Im übrigen hätte auch Henryk Broder ihm »Unterlagen« gegeben, in denen seine Thesen bestätigt werden, daß »alle Juden ein bestimmtes Gen teilen«, aber die hat er noch nicht lesen können, weil er gerade so viel zu tun hat. Später, als sich alle aufregen über das »unstrittige« Judengen, sagt Sarrazin, daß er auch irgendeine andere Volksgruppe hätte nehmen können, dann hätte sich niemand aufgeregt. Das mit dem Judengen würde er dann halt zurücknehmen, sonst aber nichts. Zur Untermauerung seiner Thesen hantiert Sarrazin gern mit Statistiken, weil die der Superlativ von Lügen sind und weil sich aus der Welt der Statistik stundenlang lustige Dinge erzählen lassen, wie z.B. daß »die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa darstellt.« Kein Wunder bei einer »Fertilitätsrate von 1,4«.

Fertilitätsrate? Alle nicken begeistert. Wir werden bedroht, weil wir nur so eine kleine Fertilitätsrate haben und die Muslime so eine große. Da stellt sich ein gewisser Neid ein auf die muslimische Fertilitätsrate, denn durch die Fertilitätsrate wird es in nur wenigen Generationen so sein, daß »Staat und Gesellschaft von den Migranten übernommen werden«, die offenbar so was Ähnliches sind wie die Muslime. Die Deutschen müssen also an ihrer Fertilitätsrate arbeiten, denn ohne Fertilitätsrate geht heute gar nichts mehr, da wird man dann sogar »fremd im eigenen Land«, und das in nur wenigen Generationen. Aber wie neue Statistiken aus dem Bundesamt für Statistik ergeben haben, fühlen sich die Deutschen schon immer fremd im eigenen Land, und erstaunlicherweise am meisten dort, wo der Migrantenanteil am niedrigsten ist. Langzeitstudien zeigen, daß die Deutschen es mit sich selbst nicht aushalten und deshalb jede Gelegenheit nutzen, um ins Ausland zu fahren. In keinem anderen Land wird dafür so viel Geld ausgegeben wie in Deutschland, obwohl die Deutschen gar kein Geld dafür haben.

Aber wie, grübeln die Deutschen, kriegen wir die verdammte Fertilitätsrate höher? Und wozu ist das dann überhaupt gut? Wenn nämlich diese Fertilitätsrate aus welchen Gründen auch immer plötzlich in die Höhe schnellte und sagen wir mal bei 3,15 landen würde, dann würde Deutschland in nur wenigen Generationen aus allen Nähten platzen und die Deutschen müßten sich woanders Lebensraum erobern, was aber kein Problem wäre, denn da wissen die Deutschen Bescheid, wie das geht.

Sarrazin sagt aber noch viele andere lustige Dinge, z.B.: »Ich betrachte unser Land aus der Perspektive eines verantwortungsvollen Staatenlenkers.« Jedenfalls macht er sich Sorgen um Deutschland, und da herrscht große Einigkeit unter den Deutschen. So viel Sorge um Deutschland war noch nie. Die taz sorgt sich um das Ansehen Deutschlands im Ausland, Necla Kelec teilt wenig originell einfach »Sarrazins Sorge um Deutschland« und Peter Hahne macht das ja sowieso immer, schon aus rein professionellen Gründen, denn er muß sich ja jeden Sonntag »Gedanken am Sonntag« machen. Lustiger als Sarrazin ist vielleicht höchstens noch Henryk Broder, der den Fall Sarrazin für den »ersten Fall einer Hexenjagd in Deutschland seit Mitte des 17. Jahrhunderts« hält. Tatsächlich wäre es der erste Fall, bei dem die Hexe nicht verbrannt, ja nicht einmal einer peinlichen Befragung mit Daumenschrauben und sowas ausgesetzt worden ist. Auch interessant die Feststellung Broders, Vererbung, Identität und Gene seien irgendwie alles das gleiche, was ich jetzt nicht gedacht hätte, aber daran sieht man, daß Deutschland schon ein lustiges Land ist, in dem es Kabarettisten richtig schwer haben, denn das alles zu toppen, das muß man erst mal schaffen.
 
 
Außerdem noch ein Artikel von Colin Goldner, der schön die absurdität unseres größten Volksfestes beschreibt.

Arsch an Arsch

Mir ist speiübel, also bin ich. Heute beginnt das Münchner Oktoberfest

Kaum etwas ist mir so abgrundtief zuwider wie das Münchner Oktoberfest. Obwohl ich nie hingehe. Mir reichen schon die Heerscharen an Trachten- und Lederhosenträgern, die plötzlich die U-Bahnen verstopfen und in ihr Handy plärren, daß sie gerade in einer verstopften U-Bahn sind und »auf d’Wiesn« wollen. Oder all die Dirndl- und Rüscherlgewandträgerinnen, die einem ungewollte Einblicke aufnötigen in ihren überquellenden Vorbau, den sie zur Wiesnzeit präsentieren wie überzüchtete Milchkühe ihr Euter. Und dabei dreinschauen wie Paris Hilton beim Pieseln, und das auch noch für pralle Erotik halten.

Ja, ich hasse München, wenn Wiesn ist. Ich hasse es, wenn ich morgens das Radio aufdrehe, und es scheppert mir einer dieser brunzblöden Wiesnhits entgegen, die dieser Vollpfosten mit Strickmütze regelmäßig verbricht. Oder eine Aufzählung irgendwelcher Promis, von denen ich nicht einmal den Namen kenne, geschweige denn das dazugehörige Gesicht oder die herausragende Leistung, deretwegen dauernd von ihnen die Rede sein muß. Meine Güte, der Lothar war im Käfer-Zelt, oder der Olli und sie haben eine Lederhose angehabt und Prosecco getrunken. Oder die Verona, die Giulia oder sonst eine von den zahllosen Dummnüssen, die in irgendeiner Vorabendserie von Pro7 eine Statistenrolle gehabt haben oder im Dschungelcamp waren und sich jetzt als »Stars« vorkommen; oder, schlimmer noch, einen Fußballer geheiratet haben und jetzt mit dem Promistatus »Spielerfrau« herumrennen.

Oder wenn ich abends den Fernseher anmache und auf allen Kanälen sind diese unerträglichen »Bayernreporter« zu sehen, die vor irgendwelchen Festzelten herumhängen und einen derartigen Bockmist verzapfen, daß eigentlich die Lichter ausgehen müßten. Tun sie aber nicht, weil der Bayerische Rundfunk diesen steinerweichenden Blödsinn für besonders bayerisch oder urig oder fremdenverkehrsförderlich hält, weshalb es ihn sechzehn Tage am Stück gibt. Welch eine Zumutung, diesen Hirschlederjankerzombies auch nur zwei Minuten zuhören zu müssen. Ich möchte da immer im Boden versinken vor Scham, selbst gebürtiger Münchner zu sein und früher einmal, als Bub, gerne auf die Wiesn gegangen zu sein.

Heute wird mir schon schlecht, wenn ich bloß daran denke, wieviele zigtausend, was sage ich, Millionen Schweinshaxn, Brathendl und Steckerlfische wieder einmal gefressen werden. Allein hundert Ochsen, die in den zwei Wochen am Spieß der Ochsenbraterei landen, ein widerwärtiges Schauspiel jedesmal, wenn der Spieß vorne hineingerammt wird und hinten wieder herauskommt. Der Marquis de Sade läßt schön grüßen.

Wiesnfeeling. Der fetttriefende Dunst in den Zelten, der beißende Qualm der Zigarren – ach was: Rauchverbot –, der würgende Gestank des Gekotzten in jeder Ecke. Krachende Blechmusik, die im Schädel dröhnt wie ein Hammer: Oans, zwoa, gsuffa. No a Maß und no oans, dazwischen ein Schaschlik, eine Fischsemmel, ein Türkischer Honig: Ois werd’ obigschwoabt. Dann, bei der nächsten Maß, die Gipfelerfahrung: Mir ist speiübel, also bin ich. Aber nicht nur die Sinne kommen ans Rasen, auch Gefühl quillt empor, das Gefühl, dabeizusein, dazuzugehören, die Verbundenheit zu spüren mit den Tausenden, dem Volk, eng aneinandergepreßt auf der Holzbank, Arsch an Arsch. Das Mitwogen in der Masse der Vielen, das Gleichwerden unter Gleichen, berauschend sich loslassend, das Ahnen bacchantischen Taumels. Oder einmal im Jahr sein, wer man wirklich ist. Mit einem saublöden Hut auf dem Kopf die innere Sau herauslassen und hemmungslos saufen, rülpsen und unter den Tisch pissen.

Volksfest? Daß ich nicht lache. Die Wiesn ist ein gigantisches Abzockunternehmen. Bei 1,4 Milliarden Euro soll der Wirtschaftswert dieses »größten Volksfestes der Welt« liegen. Weit über 5 Millionen Maß werden jedes Jahr gesoffen, all die dazu gekippten Obstler und Schnäpse gar nicht mitgerechnet, bei diesen Chaostagen der internationalen Bierdimpflszene. Für die bayerische Staatsregierung ist das Oktoberfest freilich Ausdruck der Liberalitas Bavariae, über eine Million Alkoholabhängiger allein im Freistaat hin oder her. Alle Macht den Drogen.

Da hilft es wenig, wenn SPD-Stadträtin Barbara Scheuble-Schäfer, selbst dem Biere nicht abgeneigt, der Wiesn eklatante Frauenfeinlichkeit attestiert. Sie meint nämlich nicht die sexistische Anmache, der die Besucherinnen flächendeckend von Horden angesoffener Lederhosengockel ausgesetzt sind. Sondern den Umstand, daß es auf der Wiesn viel zu wenige Damentoiletten gibt. Oft muß frau eine halbe Stunde und länger anstehen, bis sie endlich drankommt. Wohingegen es für die Männer immer schon 785 laufende Meter blecherne Pißrinnen gab, ganz abgesehen davon, daß sie, anatomisch bevorteilt, sowieso an jeden Busch unterhalb der Bavaria hinbrunzen können. Und das auch tun, sofern sie sich, stockbesoffen, nicht in die eigene Hose schiffen. Nach langem Ringen im Stadtrat wurde die Zahl der Frauentoiletten auf gut 700 angehoben. An den endlosen Warteschlangen vor den Häusln ändert das allerdings nichts. Viele Frauen entfliehen dem Lärm der Festzelte, um auf dem »stillen Örtchen« ihre dringendst notwendigen Handytelefonate zu erledigen und irgendjemandem mitzuteilen, dass sie gerade auf der Wiesn sind und wie super und einmalig es heuer wieder ist. Prost Mahlzeit.

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