Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 3. Oktober 2010

Sarrazins Staat

Ich werde das Konzept des Blogs ein wenig ändern. Da es schwer ist, eigene Texte über Dinge zu schreiben, die noch nicht geschrieben wurden, werde ich in Zukunft auch Artikel aus Zeitungen oder dem Netz hier einstellen. Nicht jeder liest alle Zeitungen oder schaut auf jeder Website vorbei.

Anfangen möchte ich mit einem Artikel aus der Jungen Welt von Arnold Schölzel:

Sarrazins Staat

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel schreibt in der Zeit über Thilo Sarrazins Buch: "Es geht darin im Kern gar nicht um Integration. Es ist ein Buch über "oben" und "unten" in unserer Gesellschaft und darüber, warum es nicht nur gerecht, sondern auch aus biologischen Gründen völlig normal ist, dass es dieses "Oben" und "Unten" gibt." Gabriel weiter: "Für Sarrazin beruht die Schichtung einer Gesellschaft somit ganz überwiegend auf natürlicher biologischer Auslese, Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse, Bildung, Sozialstatus, kulturelle Prägung, Integration oder Desintegration in den Arbeitsmarkt sind für ihn zu vernachlässigende Restgrößen. Der Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft ist für Sarrazin deshalb vor allem davon abhängig, dass die "richtigen" Menschen viele Kinder beokmmen, um ihre Intelligenz zu vererben. Und die anderen weniger."

Sarrazin verlangt demnach nichts Besonderes, höchstens etwas mehr Konsequenz bei der Vollstreckung dessen, was hierzulande Gesetz ist -  vom Blut-und-Boden-Artikel des Grundgesetzes zur Staatsbürgerschaft ("deutsche Volkszugehörigkeit") angefangen bis zu Hartz IV. Wer so etwas einführt (98,5% Zustimmung im Bundestag), weiß natürlich, dass er soziale Selektion betreibt. Man kann im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar dazu nachlesen: Hier wurde gezielt ein Gesetz geschaffen, das es Armen schwerer macht, Kinder zu haben. Und selbstverständlich gibt es längst das sozialpolitische Gegenstück dazu: Das "Elterngeld" -  von Union und SPD -  auf den Weg gebracht, genügt formal dem Gleichheitsgrundsatz herkömmlicher bürgerlicher Gesetzgebung. Tatsächlich fördert es per Orientierung am Nettoeinkommen der Eltern, dass vor allem die "richtigen" Kinder bekommen. Der Sarrazin-Staat ist mit sozialdemokratischer Hilfe insofern längst da: Disziplinierung der Deklassierten durch Schikane und Zwang kombiniert mit sozialer Zuchtwahl. Nun wundert sich Gabriel darüber, dass Sarrazins Rückgriff auf die Eugenik "in unserem Land gar nicht mehr auffällt". Verwunderlich ist lediglich, dass die eugenischen Komponenten der Sozialgesetzgebung seiner und aller anderen etablierten Bundestagsparteien dem heutigen SPD-Vorsitzenden nie aufgefallen sein sollen.

Die sogenannte Familienminisiterin Kristiana Schröder (CDU), deren Amtsbezeichnung Ministerin für besserverdienende Familien lauten müsste, hat den Wegfall des Elterngeldes für Langzeitarbeitslose am Donnerstag im Bundestag ganz im Sinne Sarrazins und der Hartz-Gesetze verteidigt. Sie erklärte, diese Zahlung an Hart-IV-Empfänger sei "von Anfang an nicht richtig" gewesen. Für Hartz-IV-Empfänger gebe es zusätzliche Hilfe, wenn sie Kinder bekämen -  unter anderem eine Erstausstattung fürs Kind und einen Mehrbedarfszuschlag. Komme noch zusätzliches Elterngeld hinzu, könne dies "auch eine negative Wirkung entfalten". Wer arbeiten gehe, müsse mehr haben, als derjenige, der nicht arbeite. Großer Protest wurde nicht vernommen. Die Sarrazinschen Selektionsverfahren sind für die Parlamentsmehrheit blanke Gewohnheit: Wer mit Hartz IV lebt, soll gefälligst keine Blagen in die Welt setzen.

Mit "Unten" und "Oben" in der Gesellschaft hat das aber nichts zu tun. Das gibt es hierzulande nicht. Ebenfalls in der Zeit erläutert Bundesinnnenminister Thomas de Maizière, warum: "Die Niederlande wie Großbritannien und Frankreich sind doch immer noch von ihrer kolonialistischen Vergangenheit geprägt. Das führt dazu, dass eine bestimmte Form von überkommenem Ober- und Unterordnungsverhältnis in der Gesellschaft verankert ist. Das hat es bei uns so nie gegeben." So klärt sich, warum die Ansprüche von Hereros wegen der an ihnen verübten deutschen Greueltaten hinfällig sind und die vom Führer, seinen Beamten und Wissenschaftlern nach Osteuropa gelenkte deutsche Kolonisation in 60 Jahren Bundesrepublik keine besondere Rolle spielte. Es gab da nichts, und wenn ja, erledigt das Erika Steinbach. Was es gibt, sind nur einige, die so fit im Oberstübchen sind wie Gabriel, Schröder oder de Maizière. Die sind deswegen ein bisschen obener.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen