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Montag, 8. März 2010

Kapitalismus um jeden Preis

In Zeiten der Krise, zieht man oft Parallelen zu 1929, der letzten Wirtschaftskrise in diesem Ausmaß. Damals hat man auf die Selbstheilungskräfte des Marktes gehofft. Was man bekam, waren die Nazis, die mit Hilfe der Großindustrie an die Macht gelangen konnten. Nach dem Krieg waren sich dann alle Parteien einig: Mit dem Ende des Nationalsozialismus ist auch das Ende des Kapitalismus gekommen. Die CSU schrieb 1946 in ihr Programm, Großbetriebe dürften „unter keinen Umständen zu einem selbstsüchtigen und kapitalistischen Profitunternehmen ausarten.“ Auch die CDU setzte sich für eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“ ein. Im Februar 1947 schrieb sie in ihr Ahlener Programm: „Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist.“ Das kapitalistische System sei den Lebensinteressen des Volkes nicht gerecht geworden. Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung könne nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sein, sondern nur das Wohlergehen des ganzen Volkes.

Auch die Sozialdemokraten sahen die Chance des Neubeginns. Der spätere SPD-Vorsitzende Fritz Erler schrieb in seiner Schrift „Der Sozialismus als Gegenwartsaufgabe“: „Sozialismus und Demokratie sind keine Gegensätze, sondern ein und dasselbe. Der Sozialismus ist die Vollendung der Demokratie.“ Weder sei die Marktwirtschaft wirklich frei, noch habe die totalitäre Zwangswirtschaft etwas mit Sozialismus zu tun. Sozialistische Planung stehe nicht im Gegensatz zur Marktwirtschaft, vielmehr müsse diese sie in sich einbauen, um die „blinde Gesetzmäßigkeit des Marktes“ auszuschalten. Es ist also im Prinzip alles schon einmal gewusst worden. Was heute neu erscheint, wurde nur vorübergehend vergessen.

Im Juni 1946 stimmten bei einem Volksentscheid in Sachsen 77,7% für die Überführung der Betriebe und Ländereien von Nazi- und Kriegsverbrechern in Volkseigentum. Damals galt Basisdemokratie noch als selbstverständlich. Die Deutschen waren kein dummes Volk, das noch nie etwas von Pluralismus oder Parlamentarismus gehört hatte. Die Parteien erklärten den Nationalsozialismus nicht durch einen Hang der deutschen zu Nationalismus, Diktatur und Totalitarismus, sondern man machte die von Großunternehmen ausgehende, kapitalistische Gier dafür verantwortlich, die schließlich alle erfasste. Ist es möglich, an dieser Stelle Parallelen zu ziehen? Heute wo man Defizite in der Demokratie feststellen kann? Heute wo man davon ausgeht, dass ca. 500 Großunternehmen die Weltwirtschaft bestimmen?

Damals kam es zu Massendemonstrationen, die die Vergesellschaftung der Produktion forderten. Zum Beispiel im April als 334 000 Bergarbeiter im Ruhrgebiet die Sozialisierung des Bergbaus forderten. Albert Einstein hielt damals die Lähmung des sozialen Fortschritts für das größte Übel des Kapitalismus: „Ich bin davon überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, dieses Übel loszuwerden, nämlich den, ein sozialistisches Wirtschaftssystem zu etablieren, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialistischen Zielsetzungen orientiert. In solch einer Wirtschaft gehören die Produktionsmittel der Gesellschaft selbst und ihr Gebrauch wird geplant.“

Im November 1946 entwarf die SED auf Drängen der Sowjetunion eine Verfassung für ganz Deutschland, die unter anderem bürgerliche Freiheitsrechte, Planwirtschaft und Überführung der Bodenschätze in Volkseigentum beinhaltete. Einen Monat später gab es einen Volksentscheid in Hessen (!) bei dem 72% der Bevölkerung die Sozialisierung von Großbanken, Bergbau, Stahlindustrie, Bahn und Energiewirtschaft legitimierten. Nur 5 Tage später erhob die amerikanische Militärregierung Einwände. Sie nahmen die Demokratie immer dann nicht ernst, wenn sie den wirtschaftlichen Interessen ihrer heimischen politischen Klasse widersprach. Wurde also der Kapitalismus unter Missachtung der Demokratie eingeführt? So wie der Sozialismus in Ostdeutschland?

Im Juni 1947 drückt Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Karl Arnold die gesamtdeutsche Stimmung zu jener Zeit aus: Da das kapitalistische Wirtschaftssystem seinen Zweck, nämlich die Bedarfsdeckung des Volkes, in sein Gegenteil verkehrt habe, müsse die Grundstoffindustrie, also Kohle, Stahl, Chemie, „in Gemeinwirtschaft überführt“ werden. „Eine Beteiligung des privaten Großkapitals in den vorgenannten Betriebs- und Industriezweigen wird ausgeschlossen.“ In dieser für die USA unliebsamen Stimmung bieten sie im April 1948 den Marshall-Plan an, der Westeuropa zu den Bedingungen des amerikanischen Kapitalismus stabilisieren und die Westzonen Deutschlands in ein gegen die Sowjetunion gerichtetes Bündnis eingliedern sollte.

Doch der Plan geht nicht sofort auf. Der Landtag in Nordrhein-Westfalen beschließt im August 1948 das Gesetz zur Sozialisierung der Volkswirtschaft. Jedoch verbot die britische Militärregierung die Durchführung. Im Sommer 1948 gab Ludwig Erhard die Preise frei und begünstigte Unternehmen durch Sondersteuern. Die Folgen waren fatal: die Läden waren leer gekauft, die Preise schossen in die Höhe und die Arbeitslosigkeit stieg. Die Arbeiter verlangten das Ende des kapitalistischen Experiments. Im Oktober 1948 rief die Stuttgarter Gewerkschaftsleitung zu einer Protestkundgebung gegen die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrates und Ludwig Erhards auf, an dem Zehntausende teilnahmen. Es kam schließlich zu Ausschreitungen. Die Zeitung der amerikanischen Besatzungszone „Stars and Stripes“ beschrieb die Situation am 28.10.1948 so: „Eine aufrührerische Menge wütete heute mehrere Stunden im Zentrum Stuttgarts. Der Aufruhr wurde nach 18:30 Uhr niedergeschlagen, nachdem Tränengas eingesetzt worden war. Am Abend hatte die Stadt ein kriegsmäßiges Aussehen durch eine berittene Formation und eine Panzerformation der Constabulary, die durch die Innenstadt Stuttgarts patrouillierten, um neue Ausbrüche zu verhindern.“ Für die Nachtstunden wurde eine Ausgangssperre verhängt. Am 12. November folgte ein 24-stündiger Generalstreik. Daran beteiligten sich mehr als 9 Millionen Arbeiter. Doch die Forderungen waren nicht Lohnerhöhungen, sondern die Überführung der Grundstoffindustrie in Gemeineigentum, sowie die Demokratisierung und Planung der Wirtschaft.

Warum weiß davon heute niemand mehr? Nicht die Demokratie sondern das Wirtschaftssystem wurde in Frage gestellt. Beide Teile Deutschlands haben gegen ihren demokratischen Willen ein Wirtschaftssystem aufgedrückt bekommen. Weder schützte das Privateigentum vor Faschismus, noch das Volkseigentum vor dem Stalinismus. Im Westen bekamen im Gegenteil viele bei den Nürnberger Prozessen Verurteilten Amnestie und wurden bewusst in Postionen gehoben, da sie Erfahrung im „Kampf gegen den Bolschewismus“ hatten. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten wurde der eiserne Vorhang endgültig aufgezogen. Seitdem waren sie Gegenspieler. Jeder hat den anderen beeinflusst. Die DDR zwang den Kapitalismus in der BRD sozialer zu werden und die BRD zwang den Sozialismus in der DDR fortschrittlich zu sein. Eine getrennte Geschichtsbetrachtung scheint daher absurd. Da stellt sich die Frage: Ist mit dem Wegbruch des sozialistischen Gegnersystems, auch die Bändigung des Kapitalismus weggefallen? Steht deswegen nun auch der Kapitalismus vor dem Zusammenbruch? Klar ist, der Kapitalismus hat keineswegs eine größere Legitimation, als der real existierende Sozialismus. Wir wussten bereits einmal, dass nur ein dritter Weg, der Vorteile beider Wirtschaftsformen vereint, zu einer Wirtschaft führt, die dem Volke dient und nicht umgekehrt. Bleibt nur die Frage: Haben wir es einfach nur vergessen, oder wurden die Ideen mit Absicht ins Abseits geschoben?!


Buchtipp: Mehr zu diesem Thema gibt es in dem Buch „Wehe dem Sieger – Ohne Osten kein Westen“ von Daniela Dahn, an dem ich mich auch Teilweise orientiert habe. Die Geschichte der beiden deutschen Staaten und deren Wechselwirkungen untereinander werden sehr kritisch betrachtet.

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