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Montag, 8. März 2010

Von der Finanzkrise zur Systemkrise?

Man könnte behaupten, die Finanzkrise führt zu einer Systemkrise des Kapitalismus. Doch woran kann man diese Behauptung fest machen und wo liegen die Ursachen? Dies soll hier unkompliziert und kritisch beleuchtet werden.

Zuerst sollte man die Ideen des kapitalistischen Systems der Marktwirtschaft verstehen. Das ökonomische Denken unserer Zeit wird von den neoklassischen Ideen, die auf der klassischen Nationalökonomie von Adam Smith beruhen, bestimmt. Demnach geht man zuerst von einem rationalen Anbieter aus. Dessen Triebfeder ist der Egoismus und die Gewinnmaximierung. Er möchte mit seinen Produkten einen größtmöglichen Gewinn erwirtschaften. Um viele seiner Produkte zu verkaufen, muss er das beste Produkt zum besten Preis anbieten. Und schon hier sieht die Realität anders aus. Der Kunde kauft nämlich nicht das Produkt, das den größten Nutzen für ihn hat, sondern das Produkt, das den größten Nutzen verspricht. Das haben natürlich auch die Anbieter erkannt. Qualität vorzugaukeln ist dabei viel einfacher und billiger, als echte Qualität herzustellen. Außerdem werden die Preise unvergleichbar gestaltet, wo wir beim nächsten Punkt, dem rationalen Käufer wären.

Der rationale Käufer soll dieses Vortäuschen von Qualität als rationaler, informierter Käufer verhindern. Er kauft nur die Produkte, die wirklich die beste Qualität zum besten Preis liefern. Produkte von unehrlichen Unternehmen werden nicht gekauft und so das Unternehmen boykottiert. Doch bei der heutigen Vielzahl an Produkten, ist es zu viel verlangt, unter allen Produkten kompetent, kritisch und am besten noch mit einer Kosten-Leistung-Analyse, das ideale Produkt zu erkennen und zu kaufen. Außerdem kann er lediglich nur das Kaufen, das er aus Werbung und Angeboten kennt. Auch die Behauptung, Angebot würde automatisch Nachfrage generieren, scheint absurd. Welches Kind würde freiwillig Alkopops und Dickmacher haben wollen, wenn in den Medien nicht so penetrant dafür Werbung gemacht würde.

Aus diesem Gleichgewicht des Angebots und der Nachfrage entsteht ein Preisgleichgewicht auf dem Markt, die so genannte „unsichtbare Hand des Marktes“. Die Verehrung der „Selbstheilungskräfte“ des Marktes und der „unsichtbaren Hand“ von Marktradikalen erreicht schon fast religiöse Ausmaße. Jedoch ist der Mensch kein ausschließlich aus Habgier bestimmtes und absolut rational handelndes Wesen. Deswegen versuchen die neoliberalen marktanbetenden Kräfte, uns ihrem Idealen Menschenbild des Homo oeconomicus anzunähern.

Selbsternannte Experten erklären uns, dass Lohnsenkungen und Krisen „alternativlose Sachzwänge der Globalisierung“ seien, obwohl man die Ursachen für diese Maßnahmen schnell findet. In jeder Minute werden im Fernsehen marktradikale Werte geprädigt, wie die Geschichte des Tellerwäschers der zum Millionär wurde. Das Fernsehen wird genutzt um die Menschen in Parallelwelten abgleiten zu lassen oder Fronten in der Gesellschaft zu schüren. Durch das Aufhetzen von Jung gegen Alt oder Frau gegen Mann, wird von wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen abgelenkt. Politische Sendungen werden in die Nacht verlegt und in den Sendungen sitzen oft nur angebliche Experten der INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft).

Die INSM ist eine marktradikale Gruppe, inspiriert von Friedrich August von Hayek, quasi der Prophet des freien Marktes und des Neoliberalismus, die elegant neoliberale Gedanken in die Medien lanciert. So stammen Forderungen der neoliberalen Parteien wie z.B.: „Weniger Staat, mehr Privatisierung“, „Lohnnebenkosten runter“ oder „weniger Staatsschulden“ nicht aus der Feder Guido Westerwelles. Diese Ziele formulierte die Werbeagentur Scholz&Friends im Auftrag eben dieser Arbeitgeberorganisation INSM. So lancieren Studienabbrecher wie Oswald Metzger als „unabhängige und weltweit renomierte Experten“ neoliberales, marktradikales Gedankengut in Verlage und Funkhäuser, Schulen und Universitäten. So stellte das Politmagazin Report Mainz in ihrem Beitrag „Katalog der Grausamkeiten – Wie geht es weiter mit Rente, Pflege, Gesundheit?“ gleich drei INSM-Wirtschaftsprofessoren auf, die vom „Sachzwang zum Sparen“ predigten. Und auch in der Politik sind INSM-Experten immer gerne gesehen. So holte sich Gerhard Schröder zum Beispiel INSM-Preisträger Paul Kirchhof in sein „Kompetenzteam“.

So verblödet die Gesellschaft und neoliberale Gedanken dringen immer weiter in die Köpfe der Menschen vor.

Die Allgegenwertigkeit des neoliberalen Weltbildes in unserem Medien und der Politik führt zu einer regelrechten Verblödung der Gesellschaft. Schon Ex-Kanzler Gerhard Schröder hatte gesagt, zum regieren reichen ihm „Bild, BamS und Glotze“. So beherrschen Diskussionen um Personen, anstatt um politische Inhalte die heutigen „Leitmedien“. Boulevardinhalte und Skandale machen unsere Medien zu Nullmedien. Inhalte und Anschauungen geraten in den Hintergrund, wenn nicht sogar in Vergessenheit.

Die Parteien unserer Demokratie werden auch immer mehr von neoliberalen Gedanken geprägt. So beginnen sie, wie Unternehmen auf dem freien Markt zu denken. Doch anstatt auf Gewinnmaximierung, zielen sie auf Stimmenmaximierung ab. Dadurch gehen ideologische Grundsätze der Parteien verloren und es bildet sich ein neoliberaler Grundkonsens. So sagt der Politologe Anthony Downs: Parteien „streben nicht die Regierung an, um vorgefasste politische Konzepte zu verwirklichen, sondern formulieren politische Konzepte, um an die Regierung zu kommen.“ Durch die Angleichung der politischen Programme und der Abweichung von den ideologischen Grundlagen der Parteien, kommt es dazu, dass eben CDU mit den Grünen koaliert oder die SPD mit der CDU. Beim Wähler entsteht dadurch eine Politikverdrossenheit, die in die hohen Zahlen der Nichtwähler mündet.

Die Parteien unterscheiden sich nur noch geringfügig in ihrem politischen Handeln und so wählt der Bürger nur noch das kleinere Übel. Sogar die Parteien selbst Preisen sich teilweise als kleineres Übel an, durch Parolen wie: „Koch abwählen“, „Rotrot verhindern“ oder „Die Alleinherrschaft der CSU brechen“.

Desweiteren fehlen unseren Politikern die Sachkenntnisse. Parteienforscher Thomas Wieczorek kommentiert dazu treffend: „Würden Sportler für die Olympiamannschaft so nominiert wie Politiker für die Fachressorts, so träte eine gelernte Hochspringerin im Gewichtheben, ein Turmspringer im Freistilringen, eine Diskuswerferin im Dressurreiten und ein Hürdenläufer im Degenfechten an.“ Olaf Scholz war Minister für „Arbeit und Soziales“, obwohl er mit diesem Ressort, laut seinem Lebenslauf, nichts zu tun hatte. Die Kanzlerin selbst ist Physikerin. Somit liegt es auf der Hand, dass unsere Politiker zum Spielball von Beratern und Lobbyisten werden.

Vorbei an allen ideologischen Grundfesten legen die Parteien das Wahlprogramm vor, von dem sie sich die meisten Stimmen erhoffen. Wer dabei von der Partei bestimmten Kurs abweicht, wird abgeschoben. So drohte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering den „Abweichlern“ bei der Abstimmung 2001 zum Mazedonienkrieg und 2003 zur Gesundheitsreform mit dem Verweigern eines aussichtsreichen Listenplatz zur nächsten Wahl.

Experten“ der ehemaligen Regierungen und der jetzigen behaupten immer noch die Finanzkrise war nicht vorher zu sehen. Dabei wiesen bereits 2005 marxsche und keynesianische Ökonomen darauf hin. Ihnen war der Krisenzyklus wohl bewusst und sie prognostizierten eine normale periodische Überproduktions- bzw. Unterkonsumtionskrise. Doch die Politik wollte diese Warnungen nicht hören. Die Wirtschaft verzeichnete einen Boom und alle waren zufrieden. Kritiker wurden als Pessimisten dargestellt.

Die Wirtschaft war zwar gut aufgestellt, jedoch fehlten die potenziellen Käufer. Also machte die FED, die amerikanische Notenbank, das was sie immer macht: sie senkte den Leitzins. Die Banken begannen unabgesicherte Kredite zu vergeben. Wieczorek sagt dazu: „Hätte man ihnen das Geld einfach geschenkt, so hätte es die Krise in dieser Form nicht gegeben.“ Doch die Umverteilung an das Volk ist in der Marktwirtschaft ja irrational. Da die Profitgier auf dem freien Markt regiert, wurde der Derivathandel eingeführt, ein „gigantisches Kettenbreif-Spiel“. Die faulen Kredite wurden bei noch risikofreudigeren Banken Banken versichert - „ein Dummer musste einen noch Dümmeren finden.“ So entstand eine riesige Schuldenblase und wenn diese nicht geplatzt wäre, hätten sich alle dumm und dämlich verdient. Jedoch sanken die Preise für die Immobilien in den USA, auf die die meisten dieser faulen Kredite vergeben wurden. Die Banken erhöhten ihre Raten, um ihr Geld wieder zu bekommen, jedoch waren die Kreditnehmer nun zahlungsunfähig. Und siehe da, die Blase ist geplatzt.

Diesen Vorgang konnte und musste man voraussehen, es war also kein „Sachzwang der Globalisierung“. Die Regierung hatte schließlich durch die Steuerbefreiung von Firmenverkäufe, die Legalisierung von Hedgefonds und der Zulassung der Immobilienaktiengesellschaften, die nationalen Voraussetzen für die globale Zockerei geschaffen. Aus der Finanzkrise droht jetzt eine Wirtschaftskrise zu werden. Die Kreditinstitute trauen sich gegenseitig nicht mehr und vergeben keine Kredite. Investitionen sinken und die Nachfrage bleibt aus. Folgen sind steigende Arbeitslosigkeit und sinkene Löhne, die Nachfrage sinkt weiter, man befindet sich in einer Abwärtsspirale. Die Unternehmen, die vorher am lautesten den „freien Markt“ gepredigt haben, hängen jetzt als erste am Tropf des Staates und fordern Subventionen.

Der ägyptische Ökonom Samir Amin sagt: „Es handelt sich fraglos um weit mehr als um eine zyklische Krise oder eine Finanzkrise. Es handelt sich um eine Etappe in einer langen strukturellen Krise des Kapitalismus.“ Wenn das Kapital sich national nicht mehr vermehren kann, dann versucht es neuen Raum zu gewinnen. Und diese globale Expansion des Kapitalismus ist im vollen Gange laut Samir Amin: „Die globalen Kriege sind im Gange: in Irak, in Afghanistan, ich würde Palästina hinzufügen, die Bedrohung von Iran, die Bedrohung von China und Russland durch US-Militärbasen in der Region und so weiter. Deshalb steuern wir auf alles andere als auf ein Ende der Krise zu, wie es von vielen Politikern allenthalben behauptet wird.„ Für ihn ist klar, genauso wie der Kapitalismus eine sehr lange Entwicklung genommen hat, befinden wir uns jetzt in der zweiten Welle der Entwicklung des Sozialismus. Er sagt zu sozialistischen Entwicklungen in Ländern wie Bolivien: „Das, was wir im 20. Jahrhundert gesehen haben, war die erste sozialistische Welle, das, was wir jetzt in Lateinamerika sehen, ist der Beginn der zweiten. Wir müssen darauf bauen, dass die zweite Welle nicht die Fehler der ersten wiederholt: den Mangel an Demokratie, ein Übermaß an Bürokratie, das die Entscheidungsfreiheit einschränkt etc.“

Fakt ist, dass in Deutschland, die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Es entwickelt sich ein Demokratiedefizit und es steigt die Unzufriedenheit, doch auch die Erkenntnis und der Wille zu Handeln. Noch schafft es die Politik und die Medien, die Menschen ruhig zu stellen und auf bessere Zeiten zu verweisen. Sie lenken durch Feindbilder die Aufmerksamkeit von der entstehenden Krise des Kapitalismus ab. Bereits 61% der Wahlberechtigten meinen, es gebe keine Mitte mehr, nur noch oben und unten. Auch die Mittelschicht gerät langsam ins Grübeln. In Zeiten der Krise stellt sich heraus: „Was ihr gestern noch als reelle Aussicht auf Karriere, soziale Sicherheit und sorgenfreie Zukunft erschien, erkennt sie jetzt als trügerische „Chance“ wie in einem Tele-Gewinnspiel. Die Flausen von den unbegrenzten Möglichkeiten der Informationsgesellschaft hatte ihr ohnehin schon der Zusammenbruch des neuen Marktes ausgetrieben, doch nun sieht sie, dass es so langsam eng wird: Der Optimismus mutiert zur Skepsis und die Aufstiegsträume zur Angst vor dem sozialen Abstieg.“

Der Kapitalismus droht in eine Krise zu stürzen und die Systemfrage wird immer lauter. Eine Spaltung der Gesellschaft hat eingesetzt, in ein winziges Oben und ein riesiges Unten. Doch diese Spaltung ist brandgefährlich und Wiczorek fragt zurecht: „Was, wenn die Bevölkerung sich einig wird?“

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